Thomas, wir haben ja schon vorab zu der Folge gesprochen und ich teile deine Meinung. Gute Arbeitsatmosphäre ist ein Nebeneffekt von Agilität, nicht das Hauptziel.
Auch wenn viele Leute agiles Arbeiten einer Verschwendung ihrer Zeit und Fähigkeiten durch Wasserfall vorziehen. Agilität im aktuellen Kontext erzeugt andere Probleme (z.B. Burnout durch häufige Lieferungen und ständige Anspannung).
Und für mich klar ziehen viele Leute eine Anstellung bei einem existierenden Unternehmen (vor allem das hohen Einkommen daraus) der Arbeitslosigkeit vor. Aber hier gibt es ein Spektrum, vereinfach ausgedrückt, vom menschenfreundlichen Familienunternehmen bis zum renditegetriebenen Konzern.
Will sagen: Wenn Agilität der Weg ist um ein gutes Einkommen zu kommen, sind wohl viel Leute bereit ihn zu gehen. Sie selbst stehen nicht unbedingt im Fokus, aber besser als die andere Wahl.
SCRUMschau Ich formuliere das gerne wie folgt (sehr) überspitzt:
Agilität ist Kapitalismus pur! (An dieser Clickbait-Aussage schleife ich gerne noch weiter)
Ich sehe, dass diese Aussage stark zu Missverständnissen einlädt und versuche mich an einer Präzisierung:
Agilität ist Fokussierung auf den Markt (oder genauer: die Bedürfnisse der Kunden). Da unsere Märkte stark auf die Rendite der Reichen ausgerichtet sind, kommt es leider zu einige, unschönen Nebeneffekten. (Märkte könnten auch ohne das funktionieren … mehr dazu nicht hier)
Ich glaube selbst im einem besseren Kommunismus (was auch immer das ist, Hauptsache weniger Konzentration auf Rendite) wäre agiles arbeiten sinnvoll. Iterativ die Bedürfnisse der Kunden erforschen und befriedigen.
Wenn man so will könnte man Wasserfall auch als eine Form der Planwirtschaft bezeichnen. Was hat man im "alten" Kapitalismus (und auch heute noch) nicht alles geplant … Daher ist das für mich keine Entweder-Oder-Frage, sondern mindestens die wo man sich auf dem Spektrum zweier Extreme befindet. Und dann sich auch noch viele Details relevant … jetzt schweife ich noch weiter ab …
Ach was habe ich selbst da für ein missverständliches Stück Text geschrieben. 🫣 Nehmt die Details nicht zu genau.
Zurück zu Thema: Was wir ja in der Realität erleben ist, dass auch Agilität nicht immer für das Beste des Kunden (was ist das überhaupt? kurzfristig, langfristig?) eingesetzt wird.
z.B. "Working software is the primary measure of progress" sehe ich nur teilweise passieren. Die Tech-Giganten unserer Zeit sehe ich immer mehr mit Vendor-Lock-in und anderen manipulativen Techniken arbeiten um Endkunden zu halten (ein Extrembeispiel sind immer glückspielartig werdende Videospiele). Und das aller hergestellt mit Agilität. "Working software" bezieht sich hier vor allem auf Firmenbosse und Anteilseigener. Die Software arbeitet gut genug um ihre machtpolitische und finanzielle Situation zu verbessern. Die Endkunden sind nur "Kaufvieh".
Ich kann häufig beim Thema heutige Softwareentwicklung irgendwie nicht anders , als in Richtung Kapital(ismus)kritik abzudriften … Alle möglichen Methoden, mögen sie ursprüngliche in noch so bester Absicht erdacht sein, werden von gewissen Tendenzen in unserer Wirtschaft korrumpiert (und ich glaube, dass es anders geht ohne Schrecken alla Stalin herauf zu beschwören).
Ich formuliere es mal so:
Das sich Agile Manifest primär erstmal nicht um die Entwickler (oder weiter gedacht: alle Projektbeteiligten) kümmert, ist kein Problem von ihm, sondern ökonomischer Einflüsse, Rahmenbedingungen, die außerhalb davon liegen.
Dass es das nicht tut, lässt sich an seinen Leitsätzen und Prinzipien ablesen.
Und wie Anfangs ausgeführt gilt wahrscheinlich für viele: Lieber in einem agilen Unternehmen arbeiten als einkommenslos.
In der Realität trifft jeder komplexe Abwägungen, ist auch unter dem Einfluss seines persönlichen Kontextes.
Lasst mich bitte diesen Kommentar nicht bereuen … kommt mir wohlwollend entgegen.
(Und es gibt mehr Varianten von Marktwirtschaft als nur den Kapitalismus ☺️ Stichwort: Silvio Gesell)